Frage: Was hat Sie dazu bewogen oder inspiriert, eine Karriere in der Lehre zu verfolgen?
Hariolf Betz: Solange ich mich zurückdenken kann, hatte ich ein breites Interessenspektrum. Als Kind kannte ich beinahe jedes “Was ist was”-Buch aus der Bücherei auswendig. Mit vier Jahren bekam ich eine Brille und trug ab da den Spitznamen “kleiner Professor”. Das schafft natürlich eine Identifikation mit dem Berufsbild. Die Idee, Professor an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften zu werden, hatte ich erstmalig während meines Studiums. Ich selbst habe ja an einer Uni studiert, dort promoviert und bin dann in die Wirtschaft gewechselt. Dort habe gemerkt, dass mich das Akademische nach wie vor mehr interessiert als die Wirtschaft.
Im Nachhinein sieht mein Werdegang beinahe so aus, als ob ich schon immer gezielt auf meine jetzige Stelle hingearbeitet hätte. Das war sicherlich nicht zu jedem Zeitpunkt meine bewusste Absicht. Irgendwann hat aber einfach alles gepasst, ich habe mich beworben und wurde berufen.
Frage: Wie gestalten Sie Ihre Lehrveranstaltungen, um die Inhalte verständlich zu vermitteln?
Hariolf Betz: Das ist eine spannende Frage, für die es vermutlich nicht die eine, endgültige Antwort gibt. Eine Methode, die für mich gut funktioniert ist der Inverted Classroom. Das bedeutet: Die Studierenden eignen sich die Lehrinhalte im Vorfeld an — in der Regel mithilfe von Videos. In der Präsenzvorlesung gehe ich dann auf Fragen und Missverständnisse ein und mache praktische Übungen zur Vertiefung. Der große Vorteil dieser Methode ist, dass ich im Hörsaal spontan auf die Fragen und Probleme der Studierenden reagieren kann und nicht zwingend an die Dramaturgie meines Foliensatzes gebunden bin. Ich versuche außerdem stets, einen spielerischen Zugang zur Materie zu wecken. Schon in den ersten Wochen des Studiums erstellen meine Studierenden zufallsgenerierte Kunstwerke. In höheren Semestern wird dann meist ein Spiel programmiert.
An solchen Übungen schätze ich, dass die Studierenden ein direktes visuelles Feedback bekommen. Es ist leichter festzustellen “meine Spielfigur bewegt sich nicht so, wie sie soll” als in einer Datenbankanwendung zu sehen: “da steht am Ende eine 5, wo eine 10 hätte stehen sollen”. Dazu kommt, dass kreativer Freiraum unheimlich motivierend wirken kann. Bisweilen kommen da Motivationsressourcen zum Vorschein, die man gar nicht für möglich gehalten hätte. Und das, obwohl die Spielprogrammierung zu den komplexesten Domänen der Softwareentwicklung gehört.
Frage: Welche Aspekte an Ihrem Job mögen Sie denn am meisten?
Hariolf Betz: Tatsächlich ist die Freiheit ein ganz großes Plus. Das Ausmaß dieser Freiheit habe ich erst im Laufe des Jobs realisiert. Ich bestimme ja nicht nur die konkreten Inhalte, mit denen ich die Vorgaben der Modulhandbücher ausfüllt, sondern auch die Methode, mit der ich dies Inhalte vermittle -- und das immer wieder neu. Das ist fantastisch. Natürlich schätze ich auch den hohen Grad an Absicherung, die große Jobsicherheit und die Tatsache, dass ich mich viel weniger als andere um meine Altersvorsorge kümmern muss. Man fühlt sich sehr behütet in diesem Beruf, auf eine gute Art. Das ist schön.
Frage: Welche Herausforderungen beinhaltet der Job als Professor aus Ihrer Sicht?
Hariolf Betz: Anfang dieses Jahres wurde bei mir ADHS diagnostiziert. Das erklärt recht gut, welche Dinge mir schwerer fallen als anderen: Verwaltungsaufgaben können mir zum Beispiel schnell den Tag ruinieren, auch wenn sie eigentlich nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Diese schiebe ich daher oft bis zur letzten Gelegenheit auf. Das gleiche gilt eigentlich für jede wiederkehrende Aufgabe, die keine nennenswerte Herausforderung bietet. Auch bin ich kein sonderlich geduldiger Mensch. Ich rede und denke meistens schneller als mein Gegenüber. In persönlichen Gesprächen bin ich schnell gelangweilt und es kostet mich Anstrengung, nicht meinen Fokus zu verlieren. Von meinem mangelnden Talent, an Gremiensitzungen teilzunehmen, will ich gar nicht erst anfangen.
Frage: Würden Sie sagen, dass die Diagnose ADHS für Sie als Professor eine große Herausforderung ist?
Hariolf Betz: Nein, so verallgemeinern würde ich das nicht. Durch meine Veranlagung fallen mir auch viele Dinge leichter. Ich kann zum Beispiel gut improvisieren und ich liebe es auf der Bühne zu stehen. Deshalb spiele ich seit vielen Jahren Improvisationstheater, was ich im Hörsaal als enormen Vorteil empfinde. Im Hyperfokus fällt es mir sehr leicht, mir in kurzer Zeit Wissen und neue Fähigkeiten anzueignen. Man sagt uns ADHSler:innen außerdem eine breite Allgemeinbildung, Humor und gute Menschenkenntnis nach. Ich bin mir übrigens recht sicher, dass ich an der THU nicht der einzige Professor mit ADHS bin.
Ich empfinde die Diagnose nicht als Krankheit, sondern als eine Variante der Normalität mit Vor- und Nachteilen. Es kann aber sehr belastend sein, wenn man sich selbst an Maßstäben misst, die eigentlich zu neurotypischen Menschen – also Menschen ohne ADHS -- passen. Dann neigt man dazu, eigene Defizite überzubewerten und die Stärken zu übersehen. Deshalb hat mir die Diagnose sehr geholfen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir als Gesellschaft lernen, offen über Neurodiversität zu sprechen. Dazu leiste ich gerne meinen Beitrag.
Frage: Wie gefällt es Ihnen in Ulm?
Hariolf Betz: Ulm ist eine tolle Stadt. Für mich hat Ulm genau die richtige Größe. Auf der einen Seite kann ich unheimlich schnell in der Natur sein. Früher habe ich mich nachmittags oft aufs Fahrrad geschwungen und bin auf die Schwäbische Alb gefahren. Jetzt wo ich Kinder habe, kann ich in fünf Minuten mit dem Kinderwagen im Wald sein.
Auf der anderen Seite bekommt man auch kulturell eine Menge geboten. Natürlich in kleinerem Rahmen als in einer Großstadt. Aber ehrlich gesagt überfordern mich Großstädte eher, als dass ich sie genieße.
Frage: Haben Sie einen Lieblingsort in Ulm?
Hariolf Betz: Mein Wohlfühlort ist der Abschnitt des Ulmer Höhenwegs von der Uni West bis zu meinem Zuhause am alten Eselsberg. Ein weiterer Lieblingsort ist der Hochsträß. Bevor wir Kinder hatten, sind meine Frau und ich dort oft mit dem Mountainbike hochgeradelt. Jetzt geht es mit den Kindern im Herbst zum Drachen steigen lassen dorthin. Mir fällt auf, dass ich wohl stets die Stadtränder schätze. Vor mir der Blick auf die Stadt, hinter mir die rauschenden Bäume: Das macht für mich einen Wohlfühlort aus. Ulm hat eine Menge solcher Orte.
Frage: Sie sind seit einigen Jahren Prüfungsausschussvorsitzender. Wie stellen Sie dieser Funktion sicher, dass Prüfungen und Prüfungsprozesse transparent und fair ablaufen?
Hariolf Betz: Die Bewertung der Prüfungsleistungen als solche liegt natürlich in der der Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen. Als Vorsitzender des Prüfungsausschusses leite ich vor allem die Sitzungen, in denen wir über studentische Anträge entscheiden. Dafür eigne ich mir juristisches Wissen an, um den Rahmen unserer Entscheidungsfreiheit und mögliche Folgen unserer Entscheidungen zu verstehen und an den Ausschuss zu kommunizieren. Außerdem stelle ich sicher, dass wir in unserer Entscheidungspraxis stets konsistent sind.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Prüfungsplanung, auf das ich mich einige Wochen im Jahr stark fokussiere.
Frage: Elternzeit bringt oft viele Veränderungen mit sich. Wie haben Sie das erlebt?
Hariolf Betz: Als meine erste Tochter ein halbes Jahr alt war, habe ein komplettes Semester frei genommen, während meine Frau gearbeitet hat. Das war tatsächlich in Sprung ins kalte Wasser. Anfangs hat meine Tochter viel geweint und wollte zur Mama. Ich gebe zu, dass ich in den ersten Tagen durchaus mit meiner Entscheidung gehadert habe. Nach ein paar Wochen waren meine Tochter und ich aber gut aufeinander eingespielt und hatten ab da eine ganz wunderbare Zeit zusammen.
Bei der Geburt meiner zweiten Tochter stand für mich außer Frage, dass ich wieder ein Semester in Elternzeit gehen möchte. Ich freue mich sehr auf diese Zeit. Anfangs wird es wieder eine Herausforderung sein, weil ich aus meinen gewohnten Abläufen und meiner Komfortzone kommen muss. Dieses Mal weiß ich aber jetzt schon sicher, dass es eine wunderschöne Zeit sein wird.
Frage: Welchen Ratschlag würden Sie jemandem geben, der sich überlegt, Professor oder Professorin an einer HAW zu werden?
Hariolf Betz: Mein erster Impuls ist zu sagen: Mach’s einfach! Aber da spreche ich vielleicht zu sehr aus meiner eigenen Perspektive. Vielleicht sollte der Ratschlag besser lauten: Hör‘ auf dein Bauchgefühl! Für mich selbst stand außer Frage, dass ich mich gerne in neue Themen einarbeite, dass ich gut erklären und präsentieren kann und dass ich die akademische Freiheit ebenso schätze wie die finanzielle Sicherheit. Wer aus solchem Holz geschnitzt ist, wird diesen Beruf lieben.
Was mir geholfen hat, letzte Zweifel zu zerstreuen, waren persönliche Gespräche mit Professorinnen und Professoren aus meinem erweiterten Bekanntenkreis. Diese haben mich alle in meiner Entscheidung bestärkt, wofür ich heute sehr dankbar bin. Deshalb mein zweiter Rat: Sprich mit Professorinnen und Professoren.
Zur Person:
Prof. Dr. Hariolf Betz ist seit 2017 Professor für Software-Entwicklung an der Technischen Hochschule Ulm. Er ist Vorsitzender des Prüfungsausschusses der Fakultät für Mechatronik und Medizintechnik und Vorstandsmitglied im Verein proTHU. Seine Fachgebiete umfassen die Grundlagen der Softwareentwicklung, wissenschaftliches Programmieren und wissensbasierte Systeme. In der Lehre vermittelt er unter anderem angewandte und objektorientierte Softwareentwicklung. Mit seiner Expertise trägt er zur Ausbildung zukünftiger Fachkräfte und zur Förderung innovativer Technologien in der Mechatronik und Medizintechnik bei.
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